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In mir ist Leere
In mir ist Leere

© by Caro G.


Liebes Tagebuch

 

 

Mein Herz ist zerbrochen. Der Tod hat es entzwei gerissen wie eine einfache Papierseite. Silvia war mein Ein und Alles. Meine beste Schwester für immer. Jetzt bin ich alleine. Ich muss ein Leben ohne Silvia aushalten. Ich werde nie wieder ihre ruhige, bedachte Art spüren, ich werde nie wieder ein Lächeln über ihr Gesicht huschen sehen. Nie wieder werde ich ihr fröhliches Gesicht, eingerahmt von langen blonden Locken, anschauen können, es wird mir für immer vergönnt sein, in ihren tiefblauen Augen zu versinken. Ach, lieber Gott, warum hast du mir das angetan? Warum hast du meine Schwester sterben lassen?

 

 

 

 

Mit rotgeweinten Augen saß Mandy an ihrem Schreibtisch und schrieb in ihr Tagebuch. Die Wanduhr tickte leise und das war das einzige Geräusch, das die lauernde Stille störte. Die Stille des Todes.

 

Etwas fehlte.

Es war Silvias glockenhelles Lachen, ihre Anwesenheit in ihrem gemeinsamen Zimmer. Mandys lange blonde Locken hingen strähnig hinab, sie waren schon seit Tagen ungekämmt. Die blauen Augen hatten ihren Glanz mit Silvias Tod verloren.

Mandy wusste nicht, wie sie es ohne Silvia, ihre eineiige Zwillingsschwester, aushalten sollte. Sie waren immer zu zweit gewesen, seid sie vor vierzehn Jahren geboren worden waren, hatten gemeinsam dumme Streiche gespielt, über die man sich später schieflachen konnte. Das war einmal. Das war Vergangenheit.

 

Ich weiß nicht, wie mein Leben weitergehen soll. Was soll ich machen, ganz alleine auf dieser Welt? Nichts macht mir mehr Spaß. Alles, was wir je zusammen gemacht haben, stimmt mich traurig. Ich kann nicht mehr Eis essen gehen, weil ich noch genau weiß, wie lustig das immer mit Silvia war. Ich dachte immer, Gott hat alle lieb. Doch mich und Silvia hat er wohl vergessen. Ich bin untröstlich. Silvia ist fort. Fort für immer.

 

 

Tränen flossen über Mandys blasses Gesicht, als sie sich das Foto anschaute, das neben ihr auf dem Schreibtisch stand.

 

Sie und Silvia am Strand von Mallorca, im letzten Sommerurlaub. Beide braungebrannt, Arm in Arm, mit leuchtenden Augen und einem strahlenden Lächeln im Gesicht.

Mandy schluchzte auf. Erinnerungen befielen sie.

 

Mandy und Silvia stehen gemeinsam auf dem Platz der Freude in Heidebach, ihrem Heimatort. Beide halten sich lachend die Hand vor dem Mund, weil sie gerade einem ihrer Mitschüler, Tommy, unbemerkt einen Zettel auf den Rücken geklebt haben, auf dem „Macho on Tour. Anschauen verboten.“ steht. Die Mädchen grinsen sich verstohlen an, als Tommy auf sie zukommt und fragt, was denn so lustig sei.           

 

 

Mandy und Silvia im Alter von zehn  Jahren. Beide sitzen im Eiscafe „Elmar“ und essen ein Erbeereis mit frischen Früchten. Silvia hat vor sich einen Block auf dem Tisch liegen, in der rechten Hand einen Bleistift. „Wir müssen alles gut planen.“, sagt Silvia. „Nichts darf schief gehen, sonst sind wir enttarnt.“ Mandy legt ihrer Schwester beruhigend die Hand auf den Arm. „Es wird schon klappen. Wichtig ist, dass Mama und Papa nichts mitkriegen. Sonst sind wir gevierteilt und eingeäschert. Du weißt ja, wie sie Späße und Streiche hassen.“ Silvia nickte und beugte sich wieder über ihren Block.

 

 

Silvias bezauberndes Lächeln, als sie und Mandy in der Schule, in der fünften Klasse, beide ein Zeugnis mit dem Schnitt 1.6 bekommen, Mandy mit guten Noten in den Nebenfächern, sie in den Hauptfächern wie Mathe und Deutsch. Beide Mädchen strahlen um die Wette.

 

 

Silvias erstauntes Gesicht, als Mandy ihr zum zwölften Geburtstag ein wunderschönes Korallenarmband schenkt. Silvia umarmt ihre Schwester überglücklich und legt sich vorsichtig das Armband an. Mandy steht mit leuchtendem Gesicht daneben und ist froh, dass ihrer Schwester das Geschenk gefällt.

 

 

All das würde Mandy nie mehr sehen, nie mehr erleben. Denn Silvia war tot. Gestorben bei einem Autounfall.

 

Sie hatte gerade eine Straße überqueren wollen, als ein dunkelrotes Auto wie der Blitz um eine Ecke geschossen kam und Silvia anfuhr. Mit einem Höllentempo war es weitergefahren, ohne auch nur einen Blick auf die verletzte Silvia geworfen zu haben.

Mandy hatte damals hinter Silvia gestanden und hatte sie nicht mehr zurückziehen können. Das Einzige, was sie konnte, war ihr Handy aus der Schultasche zu zerren, einen Krankenwagen zu alarmieren und dann Silvias Hand zu halten.

Doch der Rettungswagen kam zu spät.

Silvia erlag ihren schweren Verletzungen, bevor die Sanitäter ihr helfen konnten. Die letzten Worte, die Silvia an ihre Schwester gerichtet hatte, waren folgende gewesen:

„ Mandy, nun müssen wir uns trennen. Ich werde gehen müssen. Du musst es ohne mich schaffen. Versprich mir, bleibe am Leben, bitte. Es ist nicht deine Schuld, dass ich sterben muss. Ich möchte nicht, dass du aus Kummer um meinen Tod stirbst.“

Und Mandy hatte genickt, ihr waren Tränen über die Wangen gelaufen, sie hatte nicht einsehen wollen, dass Silvia sterben würde. Doch sie hatte genickt und ihrer Schwester versprochen, nicht am Kummer zu zerbrechen.

„Pass auf Jon und die anderen auf. Ich habe dich lieb.“, hatte Silvia noch gesagt, dann hatten sich ihre Augen geschlossen. Für immer.

Ein plötzliches Geräusch riss Mandy aus ihren Erinnerungen. Im Nebenzimmer schien irgendwas umgefallen zu sein.

„Wenn das wieder Jon ist ...“, knurrte Mandy und pfefferte ihr Tagebuch in eine Ecke.

Ihr Bruder Jon war sechs Jahre alt und ein kleiner Tollpatsch. Dauernd schmiss er etwas um und wenn man dann wutschnaubend auf ihn zulief, lächelte er einen so unschuldig an, dass man ihn einfach nicht dafür schelten konnte.

Doch jetzt war Mandy geladen. Sie war sauer auf alles. Auf ihre Familie, weil sie einfach so taten, als hätte es Silvia nie gegeben, um ihre Trauer zu überwinden, auf sich selber, weil sie schon bei jedem Foto von ihr und ihrer Zwillingsschwester heulte und auf Jon, weil er anscheinend schon wieder etwas herunter geschmissen hatte.

Mit geballten Fäusten stürmte Mandy aus ihrem Zimmer und trat ohne anzuklopfen in den Nebenraum ein, der Jon gehörte.

Der Junge saß am Boden auf einem bunten Teppich und spielte mit seinem Rennauto. Nichts war umgeschmissen, Jon konnte das Geräusch nicht verursacht haben.

„Many.“, rief Jon begeistert, als er seine Schwester entdeckte. Er konnte Mandys Namen irgendwie nicht richtig aussprechen, deshalb nannte er sie immer Many. „Spielst du mit mir?“, fragte er.

Mandy schüttelte stumm den Kopf.

„Warum nicht?“, fragte er verdrossen. „Ich möchte nicht.“, antwortete Mandy leise. „Es ist wegen ihr, stimmt’s?“ Jon spürte immer sofort, wenn etwas nicht stimmte. „Du bist traurig, weil Silvia nicht mehr bei uns, sondern im Himmel ist.“

Tränen schossen aus Mandys Augen. Eigentlich wollte sie vor Jon nicht weinen, aber sie konnte es nicht zurückhalten. Wenn Jon nur Recht hätte! Wenn Silvia wirklich im Himmel wäre! Falls es ihn überhaupt gab.

Mandy ließ sich neben Jon auf dem Teppich nieder und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ja, es ist wegen Silvia.“, gab sie schluchzend zu. Sie wusste nicht, ob Jon ihre Worte alle verstand, doch sie redete sich den Kummer von der Seele. „Ich vermisse sie so schrecklich. Jeden Moment muss ich an sie denken. Es ist alles so leer ohne Silvia. Meine Gedanken drehen sich nur noch um sie. Ich gebe mir die Schuld an ihrem Tod. Sie hat zwar gesagt, dass ich das nicht soll, aber es ist so. Wäre ich damals einen Schritt schneller gewesen, hätte ich sie noch zurückziehen können, als das Auto kam. Es ist alles meine Schuld!“

Sie spürte, wie Jon ihr sanft über die Schulter strich. So klein und unerfahren er doch war, er verstand, was Mandy bedrückte und wollte sie trösten. „Nein, Many, du bist nicht Schuld, dass Silvia vom Himmel zu uns herunter schauen muss. Der doofe Autofahrer ist Schuld. Wäre er nicht so schnell gewesen, hätte er Silvia auch nicht angefahren.“

Mandy wusste gar nicht, dass Jon so erwachsen reden konnte. Er war doch erst sechs Jahre alt! Sie nahm ihren Bruder in den Arm. „Danke für’s Trösten.“, sagte sie und drückte ihn an sich. Jon lächelte. „Du bist doch meine Schwester, Many, wir müssen zusammen halten.“, sagte er.

Mandy nickte traurig. „Woher kennst du nur solche erwachsenen Ausdrücke?“, fragte sie dann. „Von Mama und Papa.“, antwortete Jon ernsthaft. Mandy schniefte. „Danke, mein erwachsener kleiner Bruder.“

Mit den Worten kehrte sie zurück in ihr Zimmer. Auf ihren Lippen lag das erste Lächeln seit dem Tod von Silvia vor vier Wochen. An das Geräusch, das sie vorhin aufgeschreckt hatte, dachte sie nicht mehr. Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und schrieb aufs Neue in ihr Tagebuch, nachdem sie vom Boden aufgehoben hatte.

 

Liebes Tagebuch

 

 

Vorhin habe ich nur von Silvia und meiner Trauer geredet, jetzt komm Jon an die Reihe. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich so einen wundervollen Bruder habe. Jon ist zwar erst sechs, aber er tröstet schon wie ein Erwachsener. Er und ich, wir werden die Zeit ohne Silvia gemeinsam überstehen!

 

 

 

 

Mandy legte den Stift zur Seite und legte sich auf ihr Sofa. Sie angelte nach dem Buch, das sie gerade las, und vertiefte sich in die Geschichte. Es ging um ein geheimnisvolles Zwergenvolk, das unter der Erde lebte und viele Gefahren bestehen musste.

 

Als Mandy mit dem Lesen stoppte, war es schon später Abend. Mandy trat ans Fenster, öffnete es und schaute hinaus. Die Nacht hatte sich längst über das Land gesenkt und die ersten Sterne tauchten auf. Ein leichter Wind wehte und wirbelte Mandys Haare leicht hin und her. Das Mädchen seufzte. Es war eine schöne Nacht. Natürlich wäre es mit Silvia noch schöner gewesen, doch Mandy begriff jetzt, dass sie glücklich sein musste, noch am Leben zu sein. Wenn sie als Erster über die Straße gelaufen wäre, läge sie jetzt tot unter der Erde begraben und Silvia müsste gegen die Trauer ankämpfen. Mandy atmete die frische Nachtluft ein.

Plötzlich hörte sie einen Schrei. „Nein, nein, lasst mich! Many, Many, hilf mir!“ Es war Jon. Mandy war noch nie so schnell gerannt wie an diesem Tag. Die Angst um ihren Bruder schnürte ihr das Herz zu.

„Jon, Jon, was ist?“, schrie sie so laut, dass es in der Wohnung widerhallte. Die Eltern waren nicht da. Sie waren übers Wochenende weggefahren und hatten Mandy und Jon alleine in der Wohnung zurückgelassen.

„Jon!“, brüllte Mandy aus Leibeskräften und riss die Zimmertür ihres Bruders auf. Auf den Anblick im Raum war sie nicht vorbereitet; abrupt blieb sie stehen, als hätte sie vor sich eine Glaswand entdeckt, die ihr den Weg ins Zimmer versperrte.

„Many!“, schrie Jon verzweifelt. Er rang mit zwei kleinen Männern, die versuchten, ihn in ein Loch in der Wand zu zerren.

Mit einem Wutschrei stürmte Mandy ins Zimmer und entriss ihren Bruder den kleinen Wesen, Schützend legte sie den Arm um ihn. „Verschwindet!“, zischte sie die Männer an. „Haut ab!“ Der rechte der beiden Männer verbeugte sich elegant. „Seid gegrüßt, edle Lady, wir haben den Auftrag, Euch und Euren kleinen Bruder in unsere Welt zu holen.“

„In eure Welt? Was für eine Welt?“, fragte Mandy argwöhnisch. „In eine Welt voller Magie.“ „In wessen Auftrag?“, erkundigte sich Mandy und kniff die Augen misstrauisch zusammen. Verstohlen tastete sie nach dem Taschenmesser in ihrer Hosentasche.

„Das würde ich lieber lassen.“, entgegnete der zweite der kleinen Männer scharf, der bis jetzt geschwiegen hatte. Er hatte ihre Bewegung wohl bemerkt und ahnte, was sie vorhatte. Grimmig schauend ließ sie ihren Plan fallen.

Das linke Männchen lächelte zufrieden. „Warum sollen wir mit kommen?“, fragte Mandy. „Lady Silvia hat es uns aufgetragen.“

„Lady Silvia?“ Mandys Herz stockte. „Wer ist Lady Silvia?“, quiekte Jon mit weit aufgerissenen Augen. Er ahnte dasselbe wie Mandy.

Schweigen folgte. Man hörte nichts. Nur das laute Herzklopfen. Von Mandy. Von Jon.

Dann antworteten die Männer im Chor: „Lady Silvia ist eure Schwester.“

Mandy starrte die Männer an, unfähig, ein Wort zu sagen. Jon erstarrte. „Wie kommt unsere Silvia in eure Welt?“, fragte er mit großen Augen.

„Lady Silvia gelangte in unser Land, nachdem sie eures verlassen hatte.“, antworteten ihre Gäste unisono. „Sie regiert dort mit fester und gütiger Hand.“

Mandy war immer noch nicht fähig, sich zu rühren. Ihr Mund war ganz trocken. „Ihr meint...“, krächzte sie, „...Silvia lebt nach ihrem Tod weiter?“ Ihr Gehirn verzweifelte daran, diese Neuigkeit aufzunehmen.

Die Männer nickten. „Unser Land ist ein besonderes Land.“, erklärte der rechte von ihnen. „In ihm leben die Toten weiter.“

Jon lächelte über das ganze Gesicht. „Wann gehen wir los?“, fragte er aufgeregt und riss sich von Mandy los. „Wenn ihr bereit seid.“, sagte das linke Männchen, schaute dabei aber Mandy an. Die nickte entschlossen. „Wir sind bereit!“

 

So machten sich die Geschwister in das Land auf, in dem ihre Schwester nun nach dem Unfall lebte. Mit Zuversicht im Gepäck, Silvia wieder zu sehen, traten sie die Reise an, ohne zurückzuschauen.

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